Eisenbahn in Mönchengladbach

Geschichte und Betrieb in und um Mönchengladbach

Der nachfolgende Text stamm aus einer aktuellen Bachelorarbeit von Felix Theuerzeit, Student an der RWTH Aachen. Unter dem Titel "Die Bedeutung des Schienenverkehrs für die deutsche Wirtschaft - Der Eiserne Rhein und die Region Mönchengladbach" hat Felix Theuerzeit diese interessante Ausarbeitung im Rahmen seines Studiums im Lehr- und Forschungsgebiet Wirtschafts-, Sozial- und Technologiegeschichte unter Univ.-Prof. Dr. phil. Paul Thomes im September 2015 fertiggestellt.

Lesen Sie hier die Abschnitte 4 bis 6. Abbildungen, Verweise auf Abbildungen und Anmerkungen wurden hier weggelassen. Die vollständige Arbeit mit Abbildungen und Anmerkungen steht hier zum Download bereit.



4. Die Eisenbahn und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft in der Region Mönchengladbach

Nachdem im vorherigen Kapitel die ökonomische Bedeutung der Eisenbahn zur Zeit der Industrialisierung für die gesamtdeutsche Wirtschaft analysiert wurde, soll im folgenden Abschnitt die ökonomische Bedeutung des Eisernen Rheins für die Region Mönchengladbach betrachtet werden.

4. 1 Lage, wirtschaftliche Entwicklung und Besonderheiten der Region Mönchengladbach

Für eine genaue Analyse des Fallbeispiels bedarf es eines vorherigen Blickes sowohl auf die Lage als auch auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung Mönchengladbachs. Die Gliederung des Stadtgebietes war im Laufe der Geschichte eine andere als die der heutigen Stadt Mönchengladbach. Zum besseren Verständnis werden im Folgenden die damaligen eigenständigen Orte, welche heute zur Stadt Mönchengladbach gehören, beispielsweise Rheydt oder Rheindahlen, zur Stadt Mönchengladbach zusammengefasst. Dadurch sind auch die Entwicklungen der Eisenbahn in diesen Stadtteilen inbegriffen.

4. 1. 1 Geographische Lage und gesellschaftliche Entwicklung Mönchengladbachs

Das heutige Mönchengladbach, gelegen am linken Niederrhein nahe der niederländischen Grenze im Westen Nordrhein-Westfalens, ist eine kreisfreie Stadt mit ca. 263.000 Einwohnern. Den Namen der Stadt umgibt eine lange Geschichte. Er erscheint erstmalig im Jahr 1085 als „Gladbach“ oder in ähnlichen Schreibformen, denn die Stadt wurde benannt nach dem kleinen Fluss Gladebach. Aufgrund sich ansiedelnder Mönche erhielt die Stadt im 14. Jahrhundert den Zusatz Monich. Erst seit dem Jahr 1960 ist der offizielle Stadtname Mönchengladbach, im Weiteren teilweise auch nur Gladbach.

Der Gladbach war nie schiffbar und Mönchengladbach verfügt über keinen weiteren schiffbaren Fluss. Aus diesem Grund war und ist die Stadt in besonderem Maße auf alter- native Verkehrswege angewiesen.

Mönchengladbach war, wie große Teile Deutschlands, zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch unter der Herrschaft des französischen Kaisers Napoleon. Nach Gründung des deutschen Staatenbundes 1815 gehörte die Region zur preußischen Rheinprovinz. Die Mönchengladbacher Bevölkerung wuchs ähnlich wie die gesamtdeutsche Bevölkerung im 19. Jahrhundert stark an. Hatte Mönchengladbach im Jahr 1815 lediglich 2.000 Einwohner, so waren es im Jahr 1860 bereits 17.000 und 1893 50.000 Einwohner. Bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs 1913 wuchs die Bevölkerung auf ungefähr 70.000 Einwohner an.

4. 1. 2 Wirtschaftliche Entwicklung Mönchengladbachs

Die Mönchengladbacher Wirtschaft war von Beginn an stark geprägt durch die Textilindustrie. Große Flachsvorkommen in der Region um Mönchengladbach begünstigten diese Entwicklung, da dieser wichtige Rohstoff für die Leinenproduktion zur Genüge vorhanden war und nicht importiert werden musste. Aus der Flachsfaser wird durch eine mehrstufige Verarbeitung Leinen gewonnen, welches weiter zu Leinentuch verarbeitet werden kann. Die großen Flachsvorkommen führten dazu, dass Mönchengladbach schon früh Leinentuch produzierte und damit handelte. Bereits im Jahr 1488 dokumentierte ein Schriftstück, dass in Gladbach ein aus Leinen und Wolle bestehendes Tuch gefertigt wurde. So kam es, dass die Leinenherstellung und Webereien bereits im 16. Jahrhundert eine zentrale Rolle in der Mönchengladbacher Wirtschaft einnahmen. Die Blütezeit des Leinentuchs dauerte bis ins späte 18. Jahrhundert, bis die Leinentuchherstellung vom immer stärker aufkommenden Baumwollgewerbe verdrängt wurde. Im Jahr 1804 wurden in Mönchengladbach bereits 17.000 Baumwolltücher gefertigt. Im Jahr 1807 konnten die ersten Gladbacher Baumwollspinner bereits auf mechanische Spindeln zurückgreifen, was die Arbeit schneller und leichter werden ließ. Vier Jahre später, im Jahr 1811, gab es schon fünf Spinnereien, welche mechanisches Arbeitsgerät einsetzten. Diese ersten Spinnereien waren kleinere Betriebe und noch nicht auf Massenproduktionen ausgerichtet. Bis zum Jahre 1836 gab es 29.776 Baumwollspindeln in Mönchengladbach, was ungefähr 50 % aller Baumwollspindeln in der preußischen Rheinprovinz entsprach. In den Folgejahren war das Gladbacher Textilgewerbe durch hohe Zölle und billigere Löhne in anderen Teilen des Landes in eine Krise geraten. 1846 war mehr als jeder zweite Weber in Gladbach ohne Arbeit. Erst im Jahre 1855 brachte die Gründung der „Gladbacher Aktien Spinnerei und Weberei“ den Aufschwung zum international bedeutenden Textilstandort nach Mönchengladbach zurück. Die Bedeutung des Standorts dieses Unternehmens, in direkter Angrenzung an den Mönchengladbacher Hauptbahnhof, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch thematisiert. Von Beginn an waren hier 15.000 Spindeln und 250 Webstühle im Einsatz. Innerhalb der ersten fünf Jahre wuchs die Gladbacher Aktienspinnerei rasch an und beschäftigte im Jahr 1860 bereits 1.000 Mitarbeiter an 39.000 Spindeln und 490 Webstühlen. Betrachtet man die bereits erläuterte Bevölkerungsentwicklung Gladbachs, so erkennt man, dass im Jahr 1860 jeder 17. Einwohner in der Aktienspinnerei arbeitete. Überträgt man diesen Wert auf die heutige Einwohnerzahl würde dies bedeuten, dass 16.000 Einwohner dort beschäftigt wären. Die Aktienspinnerei wurde somit zum bedeutendsten Gladbacher Arbeitgeber in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Bereits zu dieser frühen Zeit exportierten die Gladbacher Weber ihre Erzeugnisse in viele europäische Länder. Dabei war eine Verbindung zu einem international bedeutsamen Hafen essentiell. Der rasche Aufstieg der Textilindustrie brachte Gladbach auch den Beinamen des „rheinischen Manchesters“, angelehnt an den großen britischen Textilstandort. Im Jahr 1899 gab es 8.300 Webstühle in der Stadt und mehr als ein Drittel aller Textilerzeugnisse aus dem Westen Deutschlands stammten von dort. Generell lässt sich sagen, dass die Gladbacher Wirtschaft zur Zeit der Industrialisierung monostrukturell durch das Textilgewerbe geprägt war. Durch das Textilgewerbe gründeten sich jedoch auch neue Industriezweige, welche in Verbindung mit diesem standen. So kam es, dass durch eine immer größer werdende Textilbranche die Maschinenbauindustrie in Gladbach ebenfalls an Bedeutung gewann. Zu Beginn des Gladbacher Textilgewerbes wurden Webstühle aus Großbritannien importiert und bei Bedarf von kleineren einheimischen Maschinenbaubetrieben repariert. Um 1860, somit inmitten der Durchbruchsphase der Industriellen Revolution, wandelten sich diese Reparaturbetriebe zu mittelständischen Firmen, welche eigene Maschinen entwickelten und herstellten. Der Gladbacher Maschinenbau spezialisierte sich somit zu Beginn auf Maschinen für das Textilgewerbe.

Ein weiterer aus dem Textilgewerbe entstandener Industriezweig war die Bekleidungsindustrie. Neben der bloßen Herstellung von Tuch und Stoff wurden diese auch direkt in Gladbach zu Kleidung weiterverarbeitet. Im Jahr 1871 gründeten sich erste Großkonfektionäre, welche vornehmlich in großen Massen Arbeitskleidung nähten.

Die Rolle des Eisernen Rheins im Mönchengladbacher Aufstieg zu einer bedeutsamen Industriestadt wird im folgenden Abschnitt betrachtet.

4. 2 Der Eiserne Rhein

Bevor die ökonomischen Auswirkungen des Eisernen Rheins erläutert werden, soll zunächst die Geschichte und Entstehung desselben betrachtet werden. Diese beginnt bereits im Jahr 1832 und somit drei Jahre, bevor die erste Eisenbahn überhaupt in Deutschland fuhr. Der Eiserne Rhein steht für zwei verschiedene Eisenbahnrouten vom Antwerpener Hafen bis an den Rhein und das Ruhrgebiet. Die vorliegende Arbeit betrachtet die zweite Route, jedoch soll eingangs eine kurze Betrachtung der gesamten Entwicklung des Eisernen Rheins erfolgen und somit die Geschichte des ersten Eisernen Rheins auch kurz erläutert werden.

4. 2. 1 Entstehung und Geschichte des Eisernen Rheins

Der Name des Eisernen Rheins geht auf Ludolf Camphausen zurück. Camphausen, geboren 1803 in Hünshoven in der Nähe von Aachen, war ein Visionär der rheinischen Eisenbahn. 1833 verfasste er eine Denkschrift, in der er erstmals den Eisernen Rhein erwähnte. Bei dem Namen steht das „Eiserne“ für die Lokomotiven und Schienen, welche sich durch die Landschaft ziehen. Der Namensteil „Rhein“ entstand aufgrund des Verlaufs der Eisenbahnstrecke, welcher grob parallel zum Rhein verläuft.

Der Eiserne Rhein steht, wie bereits erwähnt, für zwei verschiedene Eisenbahnverbindungen vom Antwerpener Hafen bis an den Rhein und das Ruhrgebiet. Der erste Eiserne Rhein wurde bereits 1832 geplant und sollte den Antwerpener Hafen mit dem Kölner Hafen verbinden. Dazu wurde bis 1843 eine Eisenbahnstrecke von Antwerpen bis nach Aachen gebaut und diese an die bestehende Verbindung von Aachen nach Köln angebunden. 10 Jahre zuvor, im Jahr 1833, äußerte Camphausen bereits Bedenken bezüglich dieser Strecke. In seiner Denkschrift zweifelte er an dem Erfolg dieser Verbindung, da sie durch ein schwer zu befahrenes Terrain führte. Dieses sah Camphausen als Hinderungsgrund an und bezweifelte die Wirtschaftlichkeit und Realisierbarkeit dieser Strecke. Schlussendlich sollte Camphausen Recht behalten und die Strecke war für ihre Betreiber ein Misserfolg.

Nachdem Camphausen an der Strecke des ersten Eisernen Rheins zweifelte beschäftigte er sich mit einer alternativen Route. Diese Strecke gilt als zweiter Eiserner Rhein. Sie verläuft vom Antwerpener Hafen über Mönchengladbach bis zum Hafen in Duisburg. Im Vergleich zur Verbindung des ersten Eisernen Rheins sollte diese leichter zu befahren und somit auch schneller sein. Dementsprechend war diese Strecke wirtschaftlicher als die erste Alternative. Der Vertrag zum Bau dieser Verbindung wurde 1873 unterzeichnet und die Strecke setzte sich aus bereits bestehenden und neu zu bauenden Streckenteilen zusammen. Am 20. Juli 1879 fuhr schließlich die erste Eisenbahn auf dieser Verbindung.

Im weiteren Verlauf dieser Arbeit soll insbesondere das Teilstück von Antwerpen bis zum Mönchengladbacher Hauptbahnhof betrachtet werden. Dieses ist 160 km lang, von denen 85 km in Belgien und 49 km in den Niederlanden liegen. In Dalheim, einem Stadtteil von Wegberg, überquert der Eiserne Rhein die deutsche Grenze und verläuft weitere 26 km bis nach Mönchengladbach. Von deutscher Seite aus verläuft die Strecke hinter der niederländischen Grenze durch Roermond bis nach Weert, wo sie bei Budel die belgische Grenze passiert und von dort aus bis nach Antwerpen verläuft. Betrieben wurde die Strecke zu Beginn weitestgehend von zwei Eisenbahngesellschaften. Zum einen von der belgischen Grand Central Belge, kurz GCB, und zum anderen von der deutschen Bergisch-Märkischen Eisenbahn, kurz BME.

Dem Personenverkehr kam beim Eisernen Rhein eine eher untergeordnete Rolle zu. Die Verbindung wurde vornehmlich für den schnellen Transport von Gütern geschaffen. Personen, die die Strecke dennoch nutzten, waren insbesondere Auswanderer nach Amerika, die zum Antwerpener Hafen gelangen wollten, um von dort aus in die Neue Welt aufzubrechen. Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt jedoch eindeutig auf dem Gütertransport. Dieser soll im Hinblick auf die ökonomischen Auswirkungen auf Mönchengladbach im folgenden Abschnitt analysiert werden.

4. 2. 2 Ökonomische Bedeutung

Wie in Abschnitt 3, Die Entwicklung der Eisenbahn und ihre Bedeutung für die deutsche Wirtschaft, geschehen, wurde die Eisenbahn bereits auf ihre wirtschaftliche Bedeutung für den gesamtdeutschen Raum im 19. Jahrhundert hin untersucht. Dort konnte eindeutig nachgewiesen werden, dass die Eisenbahn eine große Bedeutung für die Industrialisierung Deutschlands und somit die Wirtschaft hatte. Die durchgeführte Analyse soll nun von der gesamtdeutschen Ebene auf die städtische Ebene übertragen werden. Gleichwohl ist dabei die Analyse aller in Abschnitt 3 untersuchten Kriterien nicht sinnvoll beziehungsweise machbar. Das in 3.2.2 überprüfte Gesamtwirtschaftliche Gewicht des Eisenbahnsektors kann nicht auf eine einzelne Region umgemünzt werden. Stattdessen wird die Bedeutung der Eisenbahn mit anderen Transportmöglichkeiten in Mönchengladbach verglichen und so versucht, ein regionales wirtschaftliches Gewicht herauszufinden. Die Produktivitätsfortschritte aus 3.2.4 werden in diesem Teil gänzlich außer Acht gelassen, da dieses Kriterium nicht auf eine einzelne Region übertragen werden kann.

4. 2. 2. 1 Wachstum

In diesem Abschnitt soll das Wachstum des Eisernen Rheins analysiert werden. Ein mögliches Wachstum schließt, analog zur gesamtdeutschen Betrachtung, auf eine erhöhte Bedeutung für die regionale Wirtschaft. Wie bereits in Abschnitt 3.2.1, Wachstum, geschehen, sollen auch hier verschiedene Indikatoren ein Wachstum nachweisen.

Der erste Indikator für Wachstum ist die Anzahl der verkehrenden Züge. Bei Inbetriebnahme der 160 km langen Strecke von Mönchengladbach bis zum Antwerpener Hafen im Jahr 1879 fuhren zunächst täglich drei Zugpaare. Zugpaare sind jeweils zwei Züge, die auf der gleichen Strecke, jedoch in entgegengesetzter Richtung, verkehren. Somit fuhren 1879 insgesamt sechs Züge auf der Strecke. Bereits im Jahr 1885 waren es vier Zugpaare, also täglich acht Züge.83 Ein Wachstum ist diesem Indiz nach festzustellen.

Ein zweiter Indikator ist ein steigendes Transportvolumen. Über die gestiegene Anzahl an Zügen hinaus wurden die Züge zudem leistungs- und transportfähiger. Auf Grundlage dessen konnten durch eine Fahrt mehr Güter transportiert werden als zuvor. Im Zeitraum von 1880 bis 1895 steigerte sich das zu transportierende Gewicht der Güter pro Fahrt kontinuierlich. Leider gibt es für diese Zeit keine verlässlichen Tonnenkilometerangaben wie für den gesamtdeutschen Raum. Nichtsdestotrotz lässt sich das gesteigerte Transportvolumen durch die eingesetzten Lokomotiven erklären. So wurden im Jahr 1895 im Vergleich zum Jahr 1880 ca. 2 m längere Lokomotiven eingesetzt, welche ungefähr 66 % mehr Leistung (Kilonewton) hatten. Dadurch konnten diese leistungsstärkeren Lokomotiven größere Transportwaggons ziehen. Somit ist auch anhand des Indikators des gestiegenen Transportvolumens ein Wachstum festzustellen.

Ein dritter Indikator für ein Wachstum des Eisernen Rheins sind die Ausbauten der Bahnhöfe innerhalb der Stadt. Der 1851 erbaute Mönchengladbacher Hauptbahnhof, damals Bergisch-Märkischer Bahnhof München-Gladbach, benannt nach der eingangs erwähnten Eisenbahngesellschaft BME, geriet aufgrund des raschen Wachstums der Eisenbahn an seine Kapazitätsgrenzen und benötigte einen Ausbau. So wurde bereits 1899 entschieden den Hauptbahnhof auszubauen. In Folge der Umbauten entstand ein eigener Ortsgüterbahnhof in direkter Nachbarschaft des Hauptbahnhofes. Dort sollten sämtliche Güter abgefertigt werden. Dadurch konnte der Güter- vom Personenverkehr getrennt werden, was die Arbeitsprozesse deutlich effizienter gestaltete. Der Gladbacher Güterbahnhof wurde 1905 fertiggestellt.86 Der Rheydter Hauptbahnhof, damals Bergisch- Märkischer Bahnhof Rheydt, wurde ebenfalls aufgrund von Kapazitätsengpässen erweitert. Auch in Rheydt wurden insbesondere im Hinblick auf den Güterverkehr Ausbauten durchgeführt. So wurden beispielsweise Umgehungsgleise für den Güterverkehr verlegt, um das erhöhte Aufkommen über alternative Strecken lenken zu können.87 Durch die Ausbauten des Schienengüterverkehrs spricht auch dieser Indikator für ein Wachstum. Ein viertes Indiz für ein Wachstum des Eisernen Rheins ist der Ausbau des Antwerpener Hafens. Der Hafen konnte im 19. Jahrhundert ein deutliches Wachstum verzeichnen und war Ziel großer Frachtschiffe, welche in alle Teile der Welt ablegten. Von ihm ging eine große wirtschaftliche Anziehungskraft aus. Durch stetige Ausbauten wurde der erhöhte Umschlag bewerkstelligt. Aufgrund des florierenden Antwerpener Hafens konnten die durch den Eisernen Rhein angebundenen Unternehmen ihre Absatzmärkte ausweiten und größere Mengen importieren. Schlussendlich ist auch anhand des Indikators des wach- senden Antwerpener Hafens ein Wachstum des Eisernen Rheins festzustellen.

Mit Hilfe vier verschiedener Indikatoren wurde gezeigt, dass der Eiserne Rhein ein starkes Wachstum verzeichnete. Dies spricht für eine besondere Bedeutung des Eisernen Rheins für die Mönchengladbacher Wirtschaft.

4. 2. 2. 2 Regionales Gewicht

Wie in Abschnitt 4.2, Der Eiserne Rhein, bereits erläutert, soll das regionale Gewicht des Eisernen Rheins durch einen Vergleich mit anderen Transportmöglichkeiten erörtert werden. Durch diesen Vergleich des Eisernen Rheins mit alternativen Transportmöglichkeiten soll seine Bedeutung als wichtiges Gütertransportmittel für die Wirtschaft deutlich werden. Im Abschnitt 4.1.1, Geographische Lage und gesellschaftliche Entwicklung Mönchengladbachs, wurde ausgeführt, dass Mönchengladbach über keinen schiffbaren Fluss verfügt. Aus diesem Grund musste eine Alternative zum Schiffsverkehr geschaffen werden, um Güter transportieren zu können und damit die Region wirtschaftlich wettbewerbsfähig zu halten. Das Automobil war Ende des 19. Jahrhunderts noch in seiner Entwicklungsphase und keine ernstzunehmende Alternative zur Eisenbahn. Erst im Jahr 1896 wurde von Wilhelm Maybach unter Mithilfe von Gottlieb Daimler ein Nutzfahrzeug auf den Markt gebracht, mit dem Güter transportiert werden konnten. Verglichen mit der Eisen- bahn waren diese ersten Lastkraftwagen allerdings weit weniger leistungsfähig. Die Reisedauer des Eisernen Rheins betrug bei Inbetriebnahme 1879 4,5 Stunden. Dies entspricht einer Geschwindigkeit von 35,5 km/h. Der erste Lastkraftwagen aus dem Jahr 1896 erreichte lediglich eine Spitzengeschwindigkeit in Höhe von 12 km/h. Des Weiteren besaß dieser LKW nur eine Nutzlast von 3,5 t. 90 Somit wäre ein Fahrt mit einem LKW deutlich langsamer als mit der Eisenbahn gewesen. Ein weiteres Indiz dafür, dass der Gütertransport mit Lastkraftwagen im 19. Jahrhundert keine große Bedeutung hatte ist, dass Tkm Angaben erst für das Jahr 1912 existieren.

Ein weiteres alternatives Transportmittel stellten Pferdebahnen dar. Diese eigneten sich jedoch vornehmlich für den innerstädtischen Verkehr und nicht für den Transport von schweren Gütern über eine lange Strecke. Aus diesem Grund ist ein Vergleich der Pferde- bahnen mit der Eisenbahn nicht sinnvoll, da die Transportabsichten der Nutzer völlig andere waren. Anhand der vorangegangen Analyse lässt sich somit sagen, dass der Eiserne Rhein in Mönchengladbach durch seine Quasi-Monopolstellung im Güterverkehr ein großes regionales Gewicht hatte. Ohne ihn wäre ein großvolumiger Gütertransport nicht möglich gewesen. Für die Mönchengladbacher Unternehmen hätte dies bedeutet, größtenteils auf importierte Waren verzichten zu müssen und ihre Waren nahezu nur auf dem heimischen Markt anbieten zu können. Der wichtige Import von Baumwolle für die Textilindustrie wäre schwieriger und kostspieliger gewesen. Dieser hätte beispielsweise über Pferdefuhrwerke aus benachbarten Hafenstädten bezogen werden müssen. Durch den Eisernen Rhein gewann die Mönchengladbacher Wirtschaft somit auch ein Stück weit Unabhängigkeit von anderen Städten.

4. 2. 2. 3 Ausbreitungseffekte

Wie im vorherigen Abschnitt verdeutlicht, waren im 19. Jahrhundert die Mönchengladbacher Unternehmen stark vom Eisernen Rhein abhängig. Diese Abhängigkeit spiegelt sich in den Ausbreitungseffekten des Eisernen Rheins wider. Wie bereits für den gesamtdeutschen Raum betrachtet, existieren diese in Form der Vorwärts- und Rückkopplungseffekte. Für das Fallbeispiel des Eisernen Rheins interessieren besonders die Vorwärtskopplungseffekte, da vornehmlich Leistungen des Eisernen Rheins an die übrigen Gewerbe abgegeben wurden.

Die große Bedeutung des Eisernen Rheins für die Gladbacher Industrie, speziell für die Textilindustrie, lässt sich bereits durch den in der Bevölkerung für diese Strecke weitverbreiteten Namen der „Baumwollbahn“ erahnen. Der Name rührte daher, dass im Antwerpener Hafen die Züge mit importierter Baumwolle beladen wurden, welche für die Gladbacher Textilunternehmen bestimmt war. Die Bedeutung des Eisernen Rheins für diese Unternehmen verdeutlicht zudem die Standortwahl der „Gladbacher Aktienspinnerei“. Wie in Abbildung 15 zu erkennen, siedelte sich das erste und führende Gladbacher Textilunternehmen in unmittelbarer Nähe des Gladbacher Hauptbahnhofs im heutigen Gebäude des Berufskollegs für Technik und Medien am Platz der Republik an. Die Firma besaß einen direkten Gleisanschluss, welcher durch das gesamte Werk verlief. Dadurch konnten die mit Baumwolle beladenen Güterzüge direkt ins Werk fahren und dort abgeladen werden, was Zeit und Arbeitskraft sparte.

Neben der Aktienspinnerei nutzten zudem zahlreiche weitere Unternehmen den Bahnhof, um Güter zu empfangen und zu versenden. Nach Inbetriebnahme der Strecke des Eisernen Rheins wickelten um 1880 ungefähr 90 Gladbacher Unternehmen den Empfang und Versand ihrer Güter über die Güteranlage des Gladbacher Hauptbahnhofs ab. Auch für kleinere Betriebe war der Bahnhof eine wichtige Anlaufstelle. Aus dem dort befindlichen Kohlelager konnten sich Betriebe die benötigte Kohle zur Energiegewinnung ihrer Produktion beschaffen. Dabei muss bedacht werden, dass Kohle in der damaligen Zeit einer der wichtigsten Rohstoffe der Industrie war. Die Kohle wurde aus den Zechen des Ruhrgebiets mit Güterzügen nach Gladbach gebracht und direkt am Bahnhof gelagert. Für den Kohletransport war die Strecke des Eisernen Rheins, welche bis ins Ruhrgebiet zum Duisburger Hafen führte, ideal geeignet.

Neben den Unternehmen, welche ihren Standort direkt am Gladbacher Bahnhof hatten, nutzten auch weitere Unternehmen die Schiene, die nicht in direkter Umgebung lagen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts siedelten sich in Rheydt-Bonnenbroich einige Unternehmen an. Schnell bildete sich dort ein innerstädtisches Industriegebiet, vornehmlich bestehend aus Maschinenbauunternehmen. Noch heute existieren einige dieser Mön-chengladbacher Firmen. Beispiele dafür sind: Die Firma Scheidt & Bachmann (Gründung 1872), die Schorch Werke (1882), die Maschinenfabrik Monforts (1884) oder das Rheydter Kabelwerk (1898). Das Besondere an diesem Industriegebiet war, dass die Werke Anschlussgleise verlegten, um so direkt an die Schiene angebunden zu sein. So bauten das Rheydter Kabelwerk 1906, die Firma Scheidt & Bachmann 1912, Schorch 1914 und Monforts 1919 ihre Gleisanschlüsse. Betrieben wurden diese Trassen von der Rheydter Straßenbahn, welche mit elektrisch betriebenen Zugmaschinen die Güterwagen zwischen den Werken und dem nahegelegenen Bahnhof in Rheydt-Geneicken rangierten. Einmal auf der Schiene, konnten die Güter über den Gladbacher Bahnhof mit Hilfe des Eisernen Rheins zum Antwerpener Hafen transportiert und von dort in die ganze Welt verschifft werden. Durch diese Möglichkeit konnten Mönchengladbacher Firmen theoretisch jeden Teil der Erde beliefern oder von dorther beliefert werden. Ruft man sich dazu in Erinnerung, dass andere nennenswerte Transportwege noch nicht so ausgereift wie die Eisenbahn waren, erkennt man die besondere Bedeutung der Anschlussgleise für die Firmen. Hätte es die Verbindung des Eisernen Rheins nicht gegeben, so muss man sich fragen, ob die Entwicklung der Gladbacher Industrie so positiv verlaufen wäre.

Analog zur bereits durchgeführten Analyse des gesamtdeutschen Raumes hat somit auch der Eiserne Rhein eine große wirtschaftliche Bedeutung für die Region Mönchengladbach. Genaue Kennwerte zum Schienenverkehr in Mönchengladbach, wie beispielsweise Tkm oder möglicherweise gesteigerten Absatzzahlen aufgrund des Schienenverkehrs, existieren für die betrachtete Zeit leider nicht. Trotz alledem kann man sowohl aufgrund des Wachstums des Eisernen Rheins, als auch aufgrund des Merkmals, dass der Schienenverkehr eine Quasi-Monopolstellung im Mönchengladbacher Güterverkehr des 19. Jahrhundert hatte, eine besondere Bedeutung des Eisernen Rheins belegen. Darüber hinaus sind vor allem die Vorwärtskopplungseffekte des Eisernen Rheins immens gewesen. Ohne die erbrachten Transportleistungen hätte sich die Wirtschaft in Mönchengladbach nicht so entwickeln können. Dennoch muss erwähnt werden, dass dem Eisernen Rhein nicht allei- ne eine große Bedeutung für die Wirtschaft zukommt. Der übrige Schienenverkehr, gerade der innerstädtische, war ebenso bedeutsam für das Wachstum der Industrie. Nichtsdestotrotz ragt gerade der Eiserne Rhein besonders heraus, da er den florierenden Textilstandort Mönchengladbach mit dem international wichtigen Antwerpener Frachthafen verband. Daraus resultierend kann die These, dass die Eisenbahn in Mönchengladbach insgesamt ein wichtiger Faktor für die Wirtschaft war, bestätigt werden.

5. Aktuelle Bedeutung der Eisenbahn für die Wirtschaft

Um die eingangs gestellte These vollends zu verifizieren bedarf es einer Betrachtung der heutigen Bedeutung der Eisenbahn für die Wirtschaft. Dies soll sowohl für Gesamtdeutschland als auch wieder für das Fallbeispiel Mönchengladbach geschehen.

5. 1 Gesamtdeutschland

Die Eisenbahn muss sich in der heutigen Zeit gegen einige Kontrahenten behaupten, welche es im 19. Jahrhundert erst noch zu erfinden galt. Luftfrachtverkehr, Straßenverkehr und Schifffahrtsverkehr sind die Hauptkonkurrenten des heutigen Schienengüterverkehrs. Jede dieser alternativen Transportmöglichkeiten hat ökonomische Vor- und auch Nachteile, welche im Folgenden miteinander verglichen werden sollen. Abbildung 16 zeigt dazu eine Übersicht über die jeweiligen Stärken und Schwächen der einzelnen Transportmöglichkeiten. Die Werte stammen von einer im Jahr 2008, vom führenden Logistikunter- nehmen DHL, durchgeführten Studie. Der Straßenverkehr kann durch seine hohe Flexibilität und Netzdichte eindeutige Vorteile gegenüber der Konkurrenz aufweisen. Bei den Transportkosten liegen seine Schwächen, wobei er gleichauf mit dem Schienen- und Schifffahrtsverkehr ist. Demgegenüber hat der Luftfrachtverkehr seine Stärken bei den Transportzeiten und der Termintreue. Die Schwächen des Luftfrachtverkehrs liegen eindeutig in den hohen Transportkosten. Der Schifffahrtsverkehr hat weder große Vorzüge noch erhebliche Mängel. Die Kennwerte werden durchweg als durchschnittlich angesehen. Der Schienenverkehr hat im Vergleich zur Konkurrenz jedoch eindeutige Schwächen. Gerade bei der Transportzeit und der Netzdichte kann die Schiene nicht mit den anderen Transportmöglichkeiten mithalten. Insgesamt scheint der Schienenverkehr aus ökonomischer Sicht am schwächsten gegenüber seinen Kontrahenten bewertet zu sein.

Ökologische Betrachtungen wurden bei dieser Gegenüberstellung gänzlich außer Acht gelassen. Aus ökologischer Sicht kann der Schienenverkehr durch durchschnittlich weniger Emissionen als seine Konkurrenten einen Vorteil erzielen. Für 1 Tkm verursacht ein Güterzug im Mittel 21,4 g CO2-Emissionen. Ein LKW hingegen verursacht bei gleicher Transportleistung 95 g und ein Schiff 33,1 g CO2-Emissionen. Eine weitere positive Eigenschaft des Schienenverkehrs wurde bei einer Befragung des Bundesumweltamts zum Thema Lärmbelästigung im Jahr 2010 analysiert. Hier gaben die meisten Menschen an, dass sie der Schienenverkehrslärm, verglichen mit anderen Verkehrsarten, am wenigsten stören würde. 78 % der Befragten gaben dabei an, dass sie der Schienenverkehrslärm überhaupt nicht stört. Dahingegen fühlten sich die meisten Befragten vom Straßenverkehrslärm gestört.

Nach Abwägung der Vor- und Nachteile lässt sich vermuten, dass dem Schienengüterverkehr heutzutage keine größere Bedeutung mehr zukommt. Der Schienengüterverkehr scheint zu unflexibel und langsam zu sein und kann darüber hinaus keine entscheidenden Kostenvorteile bieten. Trotz alledem wird die Eisenbahn immer noch zum Transport von Gütern genutzt. Im Jahr 2014 wurden ca. 606 Millionen Tonnen Güter mit der Eisenbahn transportiert. Insbesondere Schüttgüter wie Kohle oder andere Güter wie Flüssigkeiten und Öle werden heute von Güterzügen befördert. Würde diese Menge auf der Straße transportiert werden, müssten ungefähr 77.000 LKW mehr eingesetzt werden. 2014 leistete der Schienengüterverkehr 102 Milliarden Tkm auf 67.000 km Gleisen. Des Weiteren sind im Schienengüterverkehr 62.000 Arbeiter beschäftigt. Dennoch zeigt ein Vergleich mit dem Straßengüterverkehr, dass dieser einen deutlichen höheren Anteil am deutschen Güterverkehr hat als die Eisenbahn. 2013 wurden 3,3 Milliarden Tonnen Güter über die Straße transportiert. Zusammen leistete der Straßengüterverkehr 459 Milliarden Tonnenkilometer. Insgesamt hat die Straße mehr als 70 % Anteil am gesamten deutschen Güterverkehr.

Resümierend lässt sich festhalten, dass die Eisenbahn heute nicht mehr das vorherrschende Transportmittel wie im 19. Jahrhundert ist. Gerade der Gütertransport mit LKW hat den Schienenverkehr deutlich überholt. Andere Transportmöglichkeiten sind schneller und flexibler als die Eisenbahn. Nichtsdestotrotz ist der Güterverkehr in Anbetracht der ohnehin schon stark befahrenen Autobahnen eine große Entlastung für die Straße. Man stelle sich weitere 77.000 LKW auf den Straßen vor. Geht man von einer durchschnittlichen Länge eines LKWs von 15 m aus, so würden die zusätzlich benötigten LKW aneinandergereiht eine Strecke von 1155 km ergeben. Dies entspricht in etwa der Strecke zwischen Berlin und Turin. Darüber hinaus ist der ökologische Wert der Eisenbahn groß. Durch andere Transportwege würde die Schadstoffbelastung deutlich zunehmen. Ferner ist die Eisenbahn für bestimmte Güter das ideale Transportmittel. Schüttgüter lassen sich beispielsweise am einfachsten in speziellen Güterwagen transportieren. Zudem lassen sich große Massen leichter mit der Eisenbahn transportieren, da sie eine höhere Nutzlast als beispielsweise ein LKW oder Flugzeug hat. Somit hat die Eisenbahn in der heutigen Zeit immer noch eine bestimmte Bedeutung für die Wirtschaft. Zwar nicht mehr so eine große wie zur Zeit der Industrialisierung, jedoch könnte die deutsche Wirtschaft nicht auf den Schienengüterverkehr verzichten. Dementsprechend kann die These, dass die Eisenbahn ein wichtiger Faktor für die deutsche Wirtschaft ist, auch für die heutige Zeit bestätigt werden.

Im Folgenden soll die aktuelle Betrachtung des Eisernen Rheins und dessen Bedeutung für die Mönchengladbacher Wirtschaft vorgenommen werden.

5. 2 Region Mönchengladbach

Die Mönchengladbacher Wirtschaft hat sich genau wie die gesamtdeutsche Wirtschaft seit dem 19. Jahrhundert enorm gewandelt. Die führenden Textil- und Maschinenbaubranchen spielen heute zwar auch noch eine gewichtige Rolle, darüber hinaus ist Mönchengladbach aber auch ein Standort für Logistik und andere Dienstleistungen geworden. Die generelle Entwicklung in Deutschland, dass der Tertiäre Sektor die Wirtschaft bestimmt, kann auch für Mönchengladbach bestätigt werden. Bundesweit arbeiten ca. 74 % in diesem Sektor. In Mönchengladbach arbeiten dort sogar 1 % mehr als im Bundes- durchschnitt.

Die Textilindustrie ist in Mönchengladbach auch heute noch präsent. So verfügt die Hochschule Niederrhein im Bereich der Textilwirtschaft über eine hohe Reputation. Darüber hinaus findet jährlich die Messe „MG ZIEHT AN“ statt, auf der sich bis zu 160 Textilunternehmen jungen Absolventen als potenzieller Arbeitgeber vorstellen. Einige traditionsreiche Modeunternehmen haben zudem nach wie vor ihren Sitz in der Stadt. Beispiele hierfür sind Van Laack, Gardeuer oder Alberto. Auch in der Maschinenbauindustrie konnten sich einige traditionsreiche Unternehmen bis heute in Mönchengladbach halten. Gerade die Unternehmen aus dem im Abschnitt 4.2.2.3, Ausbreitungseffekte, genannten Industriegebiet in Bonnenbroich produzieren heute noch. Ein Beispiel dafür ist die immer noch im Privatbesitz befindliche Firma Scheidt & Bachmann, welche heute Signaltechnik, Tankstellentechnik und Kassenautomaten produziert. Mittlerweile hat dieses Mönchengladbacher Unternehmen Niederlassungen in Australien, Kanada, Russland und den USA. Ein neuer Industriezweig in Mönchengladbach ist die Logistik. Der Regiopark in Güdderath beheimatet Logistikzentren einiger namhafter internationaler Unternehmen. Gerade große Textilunternehmen haben sich dort niedergelassen. Esprit, Primark, Zalando, C&A, aber auch DHL sind Beispiele.

Die weitere Geschichte des Eisernen Rheins seit dem 19. Jahrhundert ist indes nicht so positiv verlaufen wie die der Mönchengladbacher Industrie. In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts verlor die Strecke des Eisernen Rheins an Bedeutung. Durch versäumte Modernisierungen der Gleisanlagen von deutscher Seite wurde die Strecke schwieriger zu unterhalten. In Belgien und den Niederlanden beginnt die Elektrifizierung des Schienenverkehrs, was auf deutscher Seite nicht geschah. Dadurch konnten die Züge nicht die ganze Strecke durchgehend befahren. Im Jahr 1992 endet der grenzüberschreitende Güter- verkehr gänzlich. Heute ist die Teilstrecke von Dalheim bis nach Roermond nicht mehr betriebsfähig. Somit endete vorläufig die Ära des Eisernen Rheins und die direkte Verbindung von Mönchengladbach bis zum Antwerpener Hafen wurde gekappt.

Heute gibt es eine Debatte zur Reaktivierung des grenzüberschreitenden Güterverkehrs. Verschiedene Streitparteien diskutieren über das Für und Wider der Wiederaufnahme des Güterverkehrs. Im Mittelpunkt dieser Diskussion stehen verschiedene Trassen, auf denen der zukünftige Schienengüterverkehr verlaufen könnte. Dabei befürchten Anwohner, dass sie durch einen nah an ihren Grundstücken verlaufenden Güterverkehr in ihrer Ruhe gestört werden und dadurch ihre Immobilien an Wert verlieren könnten. Die Industrie und vor allem die Logistiker befürworten eine Wiederaufnahme des grenzüberschreitenden Güterverkehrs zur schnelleren und besseren Anbindung an internationale Absatzmärkte. Für die Industrie ist insbesondere die Verbindung zum Antwerpener Hafen von großem Interesse. Ähnlich seiner historischen Bedeutsamkeit, gilt der Antwerpener Hafen auch heute noch als einer der bedeutsamsten Frachthäfen der Welt. Gemessen am Güterumschlag ist der Antwerpener Hafen auf Platz 16 weltweit nur einen Platz hinter dem größten deutschen Hafen Hamburg. Über allem schwebt zudem die Kostenfrage.

Der innerstädtische Güterverkehr verlor wie der Eiserne Rhein im Laufe der Zeit ebenso an Bedeutung. Die wenigsten Gladbacher Unternehmen betreiben heutzutage noch ihre Anschlussgleise. Vereinzelt nutzen beispielsweise die Firmen Schorch oder AFL, eine Tochterfirma des ehemaligen Kabelwerks Rheydt, noch ihre Gleise, welche direkt in die Werke führen. Geplante Experteninterviews mit Verantwortlichen dieser Firmen zur Bedeutung dieser Transportmöglichkeit kamen leider nicht zustande.

Schlussendlich kann eine Bedeutung des Eisernen Rheins für die Mönchengladbacher Wirtschaft heute kaum noch festgestellt werden. Die Bedeutung des Schienenverkehrs auf anderen Strecken um Mönchengladbach ist dabei jedoch außen vor gelassen. Schließlich kann die These, dass der Eiserne Rhein auch heute noch einen wichtigen Faktor für die Mönchengladbacher Wirtschaft darstellt, abgelehnt werden.

Im nun folgenden letzten Abschnitt werden die Ergebnisse dieser Arbeit in einem Fazit zusammengetragen. Darüber hinaus soll ein Ausblick für die zukünftige Bedeutung des Schienengüterverkehrs in Deutschland und in Mönchengladbach erfolgen.

6. Fazit, Limitation und Ausblick

Zu Beginn dieser Arbeit wurde die These aufgestellt, dass die Eisenbahn ein wichtiger Faktor für den wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands war und weiterhin auch ist. Die große Bedeutung der Eisenbahn für die deutsche Wirtschaft sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart ist nach Bearbeitung dieses Themas unumstritten. Gerade im 19. Jahrhundert stellte das Eisenbahngewerbe einen wichtigen Führungssektor der einsetzenden Industrialisierung Deutschlands dar. Damit ein Gewerbe zum Führungssektor der Industrialisierung werden konnte mussten vier Kriterien erfüllt sein: Wachstum, gesamtwirtschaftliches Gewicht, Produktivitätsfortschritte und Ausbreitungseffekte. Erfüllt ein Gewerbe alle vier Kriterien gilt es als Führungssektor und somit als strategischer Kern des Industrialisierungsprozesses. Das Eisenbahngewerbe konnte in einer gesamtdeutschen Betrachtung in besonderem Maße alle Kriterien erfüllen. Gerade im Vergleich mit alternativen Transportmöglichkeiten stellte sich die große Bedeutung der Eisenbahn im 19. Jahr- hundert heraus. Ohne die Eisenbahn hätte die Industrialisierung in Deutschland nicht voranschreiten können. Somit kann die eingangs gestellte These, dass die Eisenbahn ein wichtiger Faktor für die Wirtschaft des 19. Jahrhunderts war, bestätigt werden. Aufgrund Restriktionen bezüglich des Umfangs dieser Arbeit kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob der Eisenbahnsektor das bedeutendste Gewerbe während der Industrialisierung gewesen ist. Dafür wäre ein umfangreicher Vergleich mit anderen in Frage kommenden Gewerben von Nöten gewesen.

Bei der Betrachtung des historischen Fallbeispiels des Eisernen Rheins ergibt sich ein ähnliches Bild wie für die gesamtdeutsche Bedeutung der Eisenbahn. Der Eiserne Rhein verzeichnete im 19. Jahrhundert ebenfalls ein stetiges Wachstum und hatte ein großes regionales Gewicht. Für die analysierte Region Mönchengladbach, geprägt von der Textilindustrie, waren zudem die Ausbreitungseffekte der Eisenbahn besonders wichtig. Durch den Bau des Eisernen Rheins konnte die regionale Industrie mit Gütern versorgt werden, welche ansonsten kostspielig und langsam auf anderen Transportwegen hätten beschafft werden müssen. Insbesondere die Gegebenheit, dass Mönchengladbach keinen schiffbaren Fluss besitzt, machte die Stadt in besonderem Maße von der Eisenbahn abhängig. Ohne die ökonomisch wertvolle Direktanbindung an den Antwerpener Hafen hätte die Gladbacher Textilindustrie nicht den international hohen Stellenwert erlangen können. Somit hatten im 19. Jahrhundert die Eisenbahn, und insbesondere der Eiserne Rhein, auch für die Region Mönchengladbach eine große ökonomische Bedeutung. Dadurch kann die These auch für die historische Betrachtung des Eisernen Rheins verifiziert wer- den. Eine weitere Limitation dieser Arbeit, neben dem nicht möglichen Vergleich weiterer potenzieller Führungssektoren mit der Eisenbahnbranche, ist, dass nur wenig genaue Daten für die historische Analyse des Eisernen Rheins vorliegen. Darüber hinaus war es leider nicht möglich, geplante Experten- und Zeitzeugeninterviews mit Vertreten von Mönchengladbacher Firmen durchzuführen. Viele Firmen benutzen ihre Anschlussgleise schon seit geraumer Zeit nicht mehr und somit konnten keine Personen für ein Interview ausfindig gemacht werden.

Die heutige Wirtschaft hat sich im Vergleich zum Zeitraum des 19. Jahrhunderts stark gewandelt und somit ist die aktuelle Bedeutung der Eisenbahn mit der damaligen schwer zu vergleichen. Möchte man das Prinzip der Führungssektoren der Industrialisierung auf die Jetztzeit übertragen, so würde man feststellen müssen, dass andere Industriezweige diese Rolle einnehmen. Beispielsweise die Dienstleistungs- oder IT-Branche. Des Weiteren hat die Eisenbahn durch alternative Transportmöglichkeiten an Bedeutung eingebüßt. Fast 70 % aller Güter werden heute über die Straße statt über die Schiene transportiert. Nichtsdestotrotz kommt der Eisenbahn auch heute noch eine gewisse Bedeutung zu. Gerade im Hinblick auf die Entlastung des Straßenverkehrs ist der Schienengüterverkehr sehr bedeutsam. Darüber hinaus eignet sich ein Transport auf der Schiene für besonders schwere Güter. Schüttgüter wie Kohle oder aber Öle, Gase und Metalle lassen sich ebenfalls leichter in speziellen Güterwaggons befördern. Des Weiteren verursacht der Schienengüterverkehr weniger CO2-Emissionen als andere Transportwege, was ihn diesbezüglich umweltfreundlicher als seine Alternativen macht. Schließlich kann die These, dass die Eisenbahn auch heute eine wichtige Bedeutung für die deutsche Wirtschaft hat, bestätigt werden.

Die ökonomischen Effekte des Eisernen Rheins sind heute dagegen praktisch unbedeutend. Dadurch, dass seit 1992 kein grenzübergreifender Gütertransport mehr stattfindet und bestimmte Teile der Strecke nicht mehr betriebsfähig sind, entwickelt sich die Mönchengladbacher Wirtschaft unabhängig der Geschehnisse um den Eisernen Rhein. Daraus resultierend muss die These für die Gegenwart abgelehnt werden, wobei die aktuelle Debatte zur Reaktivierung der Trasse weiter beobachtet werden muss. Eine weiterführende detailliertere Diskussion dieses Themas war innerhalb dieser Arbeit nicht möglich, da diese zu umfangreich wäre und nicht in den vorgegebenen umfänglichen Rahmen dieser Arbeit passen würde.

Schlussendlich kann die Forschungsfrage insoweit beantwortet werden, dass der Schienenverkehr damals wie heute einen wichtigen Faktor der deutschen Wirtschaft darstellt. Ohne den Schienenverkehr hätte die deutsche Wirtschaft nicht so ein Wachstum verzeichnen und seine herausragende Rolle in der Weltwirtschaft einnehmen können. Die Mönchengladbacher Textilindustrie profitierte zudem enorm durch die Anbindung des Eisernen Rheins an den Antwerpener Hafen. Ob ohne diese Eisenbahnverbindung dieses Gewerbe ein ähnliches Wachstum hätte erleben können ist fraglich.

Zum Abschluss dieser Arbeit soll ein Ausblick für die zukünftige Rolle der Eisenbahn erfolgen. Der Schienengüterverkehr wird wahrscheinlich aufgrund möglicher Ausbauten und seines bereits bestehenden großflächigen Schienennetzes stets ein wichtiger Faktor für die deutsche Wirtschaft sein. Die Zukunft des Schienenverkehrs hängt somit größtenteils davon ab, ob das weitausgebreitete Schienennetz durch Modernisierungen und Erweiterungen wettbewerbsfähig gehalten wird. Der Eiserne Rhein sollte hier als mahnendes Beispiel dienen, da unter anderem durch versäumte Modernisierungen die Konkurrenzfähigkeit dieser Eisenbahnverbindung verloren ging. Darüber hinaus ist in der Zukunft eine Betrachtung des Güterverkehrs unter ökologischen Gesichtspunkten immer bedeutsamer. Diesbezüglich sollte die Eisenbahn bestehende Vorteile nutzen und einen CO2 armen Gü- terverkehr weiter vorantreiben. Für Mönchengladbach birgt eine mögliche Reaktivierung des Eisernen Rheins ein großes wirtschaftliches Potenzial. Gerade für die in Mönchengladbach große Logistikbranche könnte eine Reaktivierung eine große Chance bieten ihr Transportnetz weiter auszubauen. Vieles hängt hier davon ab, ob sich der Bund, das Land, die Stadt und die Bahn auf einen Trassenverlauf einigen können und für alle Beteiligten eine akzeptable Lösung finden. Die Erfolgschancen einer kurzfristigen Einigung sind aufgrund der bisher langwierigen Verhandlungen als gering einzustufen.